Massensterben am Meeresgrund

kubusUnter dem blauen Meeresspiegel ringen Organismen um Luft und Leben: Weltweit gibt es in Küstenbereichen bereits 400 sauerstoffarme (hypoxische) Zonen, sogenannte Todeszonen (Dead Zones). Zusammengenommen beträgt ihre Fläche rund 250.000 Quadratkilometer – ein Gebiet so groß wie Deutschland. Ein Team um Michael Stachowitsch und Bettina Riedel vom Department für Meeresbiologie geht der Problematik experimentell auf den Grund.
Ursache des Massensterbens am Meeresgrund sind sogenannte Sauerstoffkrisen. „Man spricht von Eutrophierung – Nährstoffanreicherung im Gewässer – in Zusammenhang mit einer saisonal bedingten Schichtung des Wasserkörpers“, erklärt Stachowitsch: „Über verschmutzte Flüsse gelangen zu viele Nährstoffe wie Stickstoff oder Phosphor ins Meer und fördern das Wachstum von Algen.“ Beim Abbau dieser Biomasse entsteht Sauerstoffmangel (Anoxie). Den bekommt die „ozeanische Müllabfuhr“ zuerst zu spüren: Sterben wasserfiltrierende Organismen wie Schwämme und Muscheln, müssen an ihrer Stelle Bakterien das organische Material verwerten. Das kostet noch mehr Sauerstoff: ein Teufelskreis.
Was am Meeresboden im Detail passiert, wenn eine Todeszone entsteht, untersucht Michael Stachowitsch mit seinem Team. Geforscht wird in der nördlichen Adria vor der slowenischen Küste. Dort sitzen die ForscherInnen allerdings nicht im Boot und suchen nach der – schwer vorhersehbaren – nächsten Sauerstoffkrise: Sie machen sich ihre eigene.

Todeszone unter der Plexiglaskammer
„EAGU“ (Experimental Anoxia Generating Unit) ist ein Unterwassergerät, das am Meeresboden positioniert wird und Sauerstoffkrisen im „Kleinformat“ erzeugt. Diesem 50 x 50 x 50 Zentimeter großen, würfelförmigen Ökosystem geht langsam die Luft aus. Eine Zeitrafferkamera schießt alle paar Minuten Fotos, Sensoren messen Temperatur, Sauerstoff, Schwefelwasserstoff und den pH-Wert. Fünf bis sieben Tage dauert ein Experiment. Die dabei gewonnenen Daten geben Aufschluss über die Veränderung des Ökosystems bei Eintreten von Sauerstoffmangel, aber auch über die Wiederbesiedlung einer Dead Zone, wenn die Krise vorbei ist: Dafür bleiben die Wände des bodenlosen Unterwassergeräts jeweils am Anfang und am Ende jedes Experiments eine Zeitlang offen.

Sauerstoffkrisen voraussagen
Neben der Klassifizierung der Arten in „empfindliche“ und „tolerante“ sind Veränderungen im Verhaltensmuster der Organismen für die ForscherInnen besonders spannend. Im Kubus eingeschlossen sind Schwämme, Seescheiden, Schlangensterne, Seeigel, Seegurken und Schnecken, aber auch Meiofauna-Organismen wie Foraminiferen und kleine Krebstiere. Geht ihnen die Luft aus, versuchen die meisten, nach oben zu krabbeln. Auch Arten, die im Sediment leben (Infauna), kommen an die Oberfläche.

Ziel des Projekts ist es, einen Verhaltenskatalog der betroffenen Arten zu erstellen. Stachowitsch: „Wenn man weiß, welche Arten empfindlich sind und welche weniger, kann man an der Biodiversität und am Verhalten der Lebewesen in einem bestimmten Areal ablesen, wann die letzte Sauerstoffkrise war – oder ob eine bevorsteht“. Nur dann können KüstenmanagerInnen und verantwortliche PolitikerInnen entsprechende Maßnahmen setzen. „Auch wenn die Ausmaße der Katastrophe an der Meeresoberfläche nicht immer sichtbar sind: Letztendlich trifft es uns alle, wenn eines der produktivsten marinen Ökosysteme – nämlich seichte Küstengewässer – kippen.“

Kontakt:
Dr. Michael Stachowitsch/ Dr. Bettina Riedel
Department für Meeresbiologie
Universität Wien
1090 Wien, Althanstraße 14
T +43-1-4277-571 03, 543 27
M +43-669-121 90 444 (Bettina Riedel)
michael.stachowitsch@univie.ac.at
bettina.riedel@univie.ac.at

Rückfragehinweis:
Mag. Alexandra Frey
Öffentlichkeitsarbeit
Universität Wien
1010 Wien, Dr.-Karl-Lueger-Ring 1
T +43-1-4277-175 31
M +43-664-602 77-175 31
alexandra.frey@univie.ac.at