Die Geheimnisse des Meeresbodens
In dieser Woche trafen sich mehr als 570 Wissenschaftler aus 21 Ländern in Bremen, um über Schwerpunktthemen und Strategien für ein neues Ozeanbohr-Programm zu beraten. Dieses Forschungsprogramm soll das aktuelle, bis 2013 laufende Integrierte Ozeanbohr-Programm IODP ablösen. Der Tagungsort Bremen spielt im IODP eine wichtige Rolle, weil sich hier das größte von weltweit drei Bohrkernlagern befindet.
„Dies ist wirklich ein historisches Treffen“, sagte Hans Christian Larsen, Vizepräsident des IODP. „Nie zuvor sind viele Wissenschaftler, die sich mit wissenschaftlichen Ozeanbohrungen befassen, an einem Ort zusammen gekommen. Ich freue mich insbesondere, dass so viele Nachwuchswissenschaftler hier in Bremen sind. Schließlich müssen sie ab 2013 das neue Programm tragen.“
In Plenar- und Arbeitsgruppensitzungen haben die Teilnehmer über etablierte und neue Forschungsfelder diskutiert. So über die Entwicklung des Lebens auf unserem Planeten, über Prozesse tief im Innern der Erde, über Klimawandel und Naturkatastrophen wie Vulkanausbrüche, Erdbeben und Tsunamis.
Den Ozeanbohr-Programmen sind viele spannende Entdeckungen zu verdanken: zum Beispiel die Existenz mikrobiellen Lebens bis zu 1.600 Metern unter dem Meeresboden in Gesteinen, die bis zu 111 Millionen Jahre alt sind. Die Erforschung dieser sogenannten „tiefen Biosphäre“, deren Biomasse etwa der der tropischen Regenwälder entspricht, zählt zu den Hot-spots gegenwärtiger und aktueller Meeresforschung. Viele Fragen sind noch unbeantwortet: Wie hat sich das Leben im Meeresboden entwickelt? Gibt es Analogien zu möglichen Lebensformen im All? Bieten die mikrobiellen Ökosysteme Chancen für eine neue pharmazeutische Produkte und Heilmittel?
„Die Vergangenheit ist der Schlüssel für die Zukunft“, betonte Alan Mix, Professor an der US-amerikanischen Oregon State University in Hinblick auf die Erforschung des Klimawandels. „Zwar wurden auf diesem Forschungsfeld in den letzten Jahren viele neue Erkenntnisse gewonnen“, sagt Prof. Gerold Wefer, Direktor des Bremer MARUM und Gastgeber der Konferenz. „Doch innovative Meeresforschungstechnologien bringen neue Fragen und Herausforderungen mit sich. Wir sind jetzt in der Lage, in navigatorisch schwierigen Seegebieten wie etwa im Arktischen Ozean zu bohren. Für das zukünftige Forschungsprogramm eröffnen sich dadurch völlig neue Möglichkeiten, die Dynamik des Klimawandels und insbesondere abrupte und schnelle Klimaerwärmungen in der Erdgeschichte zu studieren.“ Sie könnten Schlüsselerkenntnisse liefern, wie das System Erde unter zukünftig zu erwartenden Treibhausbedingungen funktioniert.
Die Erforschung des Meeresbodens durch wissenschaftliche Bohr¬expeditionen wurde vor mehr als vier Jahrzehnten als größtes Gemeinschafts¬projekt in der Geschichte der Geowissenschaften gestartet. Seitdem die legendäre „Glomar Challenger“ im August 1968 erstmals in See stach, wurden auf rund zweihundert Schiffs¬expeditionen mehr als 350 Kilometer Bohrkerne gewonnen. Die darin enthaltenen Erkenntnisse haben das Bild unseres Planeten revolutioniert. Sie haben zum Beispiel der Theorie der Plattentektonik zum Durchbruch verholfen. Heute wissen wir, dass die Schale der Erde aus mehreren großen und etlichen kleineren Platten besteht, die untereinander abtauchen und dabei Vulkanismus und Erdbeben auslösen. Daher werden diese Erdbebenzonen im Rahmen des aktuellen IODP und sicher auch im zukünftigen Ozeanbohr-Programm durch spezielle Tiefbohrungen erkundet.
„Die Ergebnisse unserer Diskussionen zu diesen und anderen Forschungsfeldern fließen in einen Wissenschaftsplan ein, der im Lauf des kommenden Jahres erstellt wird“ sagt Prof. Gerold Wefer. „Er ist die Grundlage für das zukünftige Bohrprogramm, mit dem wir ein neues Kapitel in der Erforschung unserer Erde aufschlagen.“