Infektionskrankheiten auf dem Vormarsch?
Bayreuth (UBT). Werden tropische und subtropische Infektionskrankheiten infolge des Klimawandels bis nach Mitteleuropa vordringen? Diese Frage wird in Wissenschaft und Politik mit wachsender Intensität diskutiert. Ein entscheidender Aspekt ist dabei die Tatsache, dass sich die Klimabedingungen sowohl für pathogene Organismen und Viren als auch für die Überträger dieser Krankheiten zu deren Gunsten entwickeln werden. Vor allem einige Arten von Insekten, beispielsweise die asiatische Tigermücke oder Sandmücken der Gattung Phlebotomus, gelten als bedrohliche Krankheitsüberträger. Diese Insekten – sie werden auch als Vektoren bezeichnet – sind dazu in der Lage, Krankheitserreger auf andere Tiere und auf Menschen zu übertragen, ohne dabei selbst zu erkranken. Für viele der Infektionskrankheiten, die von tropischen und subtropischen Vektoren übertragen werden, gibt es heute weder eine Impfung noch eine spezifische antivirale Behandlung. Umso wichtiger sind Forschungsarbeiten, die verlässliche Prognosen über die Ausbreitung dieser Krankheitsüberträger und damit eine effiziente Vorbeugung ermöglichen.
Wissenschaftliche Prognosen zur Ausbreitung von Krankheitsüberträgern:
Das bayerische Forschungsprojekt VICCI
An der Universität Bayreuth werden diese Untersuchungen von einem Forscherteam am Lehrstuhl für Biogeografie unter Leitung von Professor Dr. Carl Beierkuhnlein vorangetrieben. Sie sind Teil des bayerischen Forschungsprojekts VICCI („Vector-borne infectious diseases in climate change investigations“), das vom Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) koordiniert und vom Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit finanziert wird. Gemeinsam mit Partnern aus der Medizin und der Tiermedizin wollen die Bayreuther Forscher im Rahmen des VICCI-Projekts herausfinden, wie sich die Lebensbedingungen für Vektoren insbesondere in Bayern ändern werden. Dabei lassen sie sich von der grundsätzlichen Annahme leiten, dass der Freistaat im globalen Vergleich einer überproportionalen Erwärmung ausgesetzt sein wird. In den Talregionen und im Süden Bayerns werden die Niederschläge in den Sommermonaten wahrscheinlich zurückgehen; im Westen hingegen erhöhen sich während der Wintermonate voraussichtlich die Niederschläge. Im Zuge dieser Entwicklungen könnten sich Krankheitsüberträger, die bisher hauptsächlich in den Tropen und Subtropen vorkommen, im Südosten Deutschlands ansiedeln und ausbreiten.
Herausforderungen für die Forschung:
Intensive interdisziplinäre Zusammenarbeit statt übereilter Vorhersagen
Lassen sich aus diesen Forschungsergebnissen zuverlässige Vorhersagen hinsichtlich einer Zunahme von Infektionskrankheiten ableiten? Die Bayreuther Wissenschaftler warnen vor übereilten Festlegungen: Klimatische Entwicklungen sind nicht nur das Ergebnis von mittel- und langfristigen Trends, sondern werden auch von vereinzelten Extrem-Ereignissen geprägt. Diese Ereignisse – wie z.B. Überschwemmungen oder Dürreperioden – werden von allgemeinen Prognosen über klimatische Trends nicht erfasst. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass Prognosen hinsichtlich der Ausbreitung einer Insektenart auch von der räumlichen Skala abhängen, die dabei zugrunde gelegt wird. Wenn es um Vorhersagen für einen ganzen Kontinent wie Europa geht, sind hauptsächlich die klimatischen Faktoren für das Auftreten einer Art bestimmend. Bei Prognosen auf regionaler und lokaler Ebene hingegen gewinnen Faktoren wie die Vegetation, die agrarwirtschaftliche Nutzung und das Höhenprofil der Landschaft an Bedeutung. Und auf einer Skala von weniger als zehn Metern sind die Wechselwirkungen zwischen den lebenden Organismen der entscheidende Faktor.
Zudem steht keineswegs fest, dass tropische und subtropische Vektoren, die sich in Mitteleuropa ansiedeln könnten, auch hier als Krankheitsüberträger wirksam werden. Denn möglicherweise sind die jeweiligen Viren oder Mikroorganismen nicht oder nur mit deutlicher Verzögerung in der Lage, sich an die Lebensbedingungen Mitteleuropas anzupassen. Außerdem spielen in der komplexen Infektionskette neben Erreger und Vektor noch zusätzlich sogenannte „Reservoirwirte“ eine erhebliche Rolle. Dabei handelt es sich um Tiere wie z.B. Zugvögel, an denen sich Insekten infizieren können; die infizierten Insekten wiederum geben das Virus an Menschen weiter. Daher sind auch die künftigen Lebensräume solcher Wirtstiere in die Gefahrenprognosen einzubeziehen.
Es sind also vielfältige ökologische und klimatische Faktoren zu berücksichtigen, wenn Prognosen zur potenziellen Ausbreitung tropischer und subtropischer Infektionskrankheiten zuverlässig sein sollen. Die Bayreuther Forscher um Professor Beierkuhnlein streben daher eine verstärkte Zusammenarbeit von Medizinern, Geographen, Biologen und Ökologen an. Insbesondere die medizinische Epidemiologie und die naturwissenschaftlich ausgerichtete Ökosystemforschung müssen national und international noch stärker kooperieren. Nur so lassen sich wirksame Strategien zur Vorbeugung gegenüber neuartigen Risiken entwickeln und in die nationalen Gesundheitssysteme integrieren.