Mineralwasser schmecken wir mit Sauer-Sinneszellen
Den typischen Kohlensäuregeschmack von Mineralwasser erkennt unsere Zunge mit Sensoren, die auch saure Reize wahrnehmen. Womöglich nehmen wir Kohlendioxid aber nur deshalb wahr, weil die Sinneszellen einen alten pH-Wert-Regler umfunktioniert haben, spekulieren Charles Zuker vom Howard Hughes Medical Institute und seine Kollegen nach intensiven Geschmacksnervenstudien mit Mäusen. Bislang war der biochemische Sensor-Mechanismus unklar, mit dem in der Natur viele Organismen das oft wichtige Signal CO2 wahrnehmen.
Zuker und Kollegen bedampften und beträufelten die Sensoren verschiedener Geschmacksnerven mit gelöstem und gasförmigem CO2 und notierten die Reaktion. Dabei erkannten sie, dass nur die für die Wahrnehmung saurer Reize zuständige Fraktion der Zellen auf Kohlensäure reagiert. Diese umfasst vom gleichen Team vor einiger Zeit entdeckte Sensoren, die den Ionenkanal PKD2L1 tragen. Die Zellen reagieren aber nur dann auf CO2, wenn zudem eine bestimmte Carbanhydrase, Car4, in den Zellmembranen aktiv ist. Carbanhydrase-Enzyme wandeln gasförmiges CO2 mit Wasser in Bicarbonationen (HCO3–) und Protonen um. Diese freigesetzten Protonen senken dann den pH-Wert in der Umgebung der Zellen und aktivieren die Sauer-Erkennung der PKD2L1-Kanäle.
Womöglich hatte die Carbanhydrase in den Zellmembranen ursprünglich nur die Funktion, den pH-Haushalt in der Zellumgebung zu regeln, spekulieren Zuker und Co. Dann aber könnte es sich bei den Vorfahren von Mäusen und Menschen als vorteilhaft herausgestellt haben, CO2 zu erschmecken – etwa, weil daran gärende und dabei verderbende Nahrungsmittel schnell am Geschmack erkannt werden können. Für das echte Sprudelgefühl reicht ein Säuregeschmack alleine aber nicht aus: CO2 aktiviert auch somatosensorische Systeme, die als Prickeln wahrgenommen werden und zusammen mit dem sauren Geschmack die typische Sensation von Selters und Sodawasser ergeben. (jo)